Samstag, 24. Januar 2009
 
Nicaragua: Massive Kritik am Abtreibungsverbot PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von CIMAC/SEM/Poonal   
Donnerstag, 16. November 2006

Das frisch verabschiedete Verbot der Abtreibung aus medizinischen Gründen hat schon sein erstes Todesopfer gefordert und wird von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen nicht nur in Nicaragua massiv kritisiert. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verurteilt das Gesetz als "historischen Rückschritt".

Am 3. November starb die 18-jährige Yasmina Bojorge. Die junge Frau war im fünften Monat schwanger gewesen und hatte vergeblich um Aufnahme im Krankenhaus Fernando Vélez País in
Managua gebeten. Dies gab nun Yamileth Mejía, Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Frauennetzwerk gegen Gewalt (Red de Mujeres contra la Violencia), bekannt.

Yasmina Bojorge sei in der Nacht zum Freitag, den 3. November, ins Krankenhaus eingeliefert worden. Sie habe hohes Fieber gehabt, „das eigentlich einen Kaiserschnitt erforderlich macht. Es lag der Verdacht vor, dass der Fötus bereits gestorben war”, erklärt Mejía. Jedoch weigerten sich die
Ärzte ihr zu helfen. Grund war ihre Angst, für eine etwaige Unterbrechung der Schwangerschaft zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden.

Das neue Gesetz erlaubt keinerlei Ausnahmen mehr für die Durchführung einer legalen Abtreibung und schreibt im Falle einer Abtreibung eine Haftstrafe von vier bis acht Jahren für die Frauen vor, die eine Abtreibung durchführen lassen, auch wenn durch die Schwangerschaft ihr Leben gefährdet wird. Beteiligten Ärzten droht eine Strafe von bis zu sechs Jahren und der Entzug ihrer Lizenz. Das Gesetz wurde am 26. Oktober vom nicaraguanischen Parlament verabschiedet.

Sowohl in Nicaragua selbst, als auch im Ausland, war es wiederholt zu Protesten gegen die neue Regelung gekommen. Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie Ärztevereinigungen und auch die Weltgesundheitsorganisation bezeichnen das Gesetz als historischen Rückschritt, da es bereits seit über 100 Jahren ein Recht auf Abtreibung aus medizinischen Gründen in Nicaragua gegeben hatte.

„Das neue Strafgesetz wurde in einem hochpolitisierten Klima, geprägt durchzahlreiche Medienkampagnen und die Wahlen am 5. November, verabschiedet. Es verletzt nicht nur grundlegende Menschenrechte, sondern greift fundamentale Prinzipien der Menschlichkeit an,“ so José Miguel Vivanco, Direktor der Amerika-Abteilung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Anstatt die Rechte der Bürger zu schützen, die sie vertreten sollen, haben die Parteien den weiblichen Körper als Schlachtfeld für die anstehenden Wahlen missbraucht“, bekräftigt Vivanco.

Das Gesundheitsnetzwerk der Frauen Lateinamerikas und der Karibik (Red de Salud de las Mujeres Latinoamericanas y del Caribe) übersandte dem nicaraguanischen Botschafter in Chile Luis Alberto Wong ein Schreiben, in dem es seine Besorgnis über das neue Gesetz zum Ausdruck brachte und davor warnte, dass dies zu negativen Effekten führen würde, „die man in Chile bereits gut kennt“. Im Jahr 1989 war als eine der letzten Maßnahmen der damaligen Militärjunta unter Augusto Pinochet die legale Abtreibung aus medizinischen Gründen verboten worden. „Dieses Gesetz wurde auch durch die Redemokratisierung Chiles noch nicht wieder rückgängig gemacht“, hebt das Schreiben des Netzwerkes hervor.

In diesem Sinne führt eine Erklärung des Nicaraguanischen Schriftstellerinnenverbandes ANIDE (Asociación Nicaragüense de Escritoras) aus, dass die Möglichkeit für legale Abtreibung aus therapeutischen Gründen in sehr vielen anderen Ländern zulässig ist. Dieses Recht basiere auf einer breiten ethischen, wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlage. „Deshalb darf die Abschaffung dieses Rechts nicht vom Willen einiger gesellschaftlicher Gruppen abhängen, sondern muss in einem demokratischen Meinungsbildungsprozess entschieden werden. Dieser
muss die Meinung verschiedener Sektoren und Gruppierungen der Gesellschaft umfassen und die Unterstützung von Wissenschaftlern aus Bereichen wie der Gynäkologie, Psychologie und des Rechts einholen“, fordern Intellektuelle in der Erklärung, die unter anderem von Claribel Alegría, Michele Najlis, Vidaluz Meneses, Gioconda Belli und Isolda Hurtado sowie anderen bekannten Persönlichkeiten unterschrieben wurde.

In einer Petition an den nicaraguanischen Präsidenten Enrique Bolaños forderten Vorsitzende verschiedener Ärztevereinigungen, unter anderem der Gynäkologen, der Geburtshelfer und der
Allgemeinmediziner, den Staatschef auf, sein Veto einzulegen. Er solle das Leben der
nicaraguanischen Frauen verteidigen, „wie es seine Pflicht als Staatsoberhaupt ist“. Ähnliche Schreiben schickten verschiedene mexikanische Frauenrechtsorganisationen. Bolaños selbst hatte jedoch das Gesetz eingebracht und sogar eine Haftstrafe von 30 Jahren gefordert.

Vertreterinnen verschiedener Organisationen in Mexiko, wie IPAS México, CD Decidir, Democracia y Sexualidad (Demysex), Grupo Integral de Reproducción Elegida (GIRE) stellten vor der dort ansässigen Botschaft Nicaraguas einen Opferaltar in Gedenken an all die Frauen auf, die bereits aufgrund illegaler Abtreibungen gestorben sind. Zudem veröffentlichten sie eine schwarze Liste mit den Namen der Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt hatten.

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